Rückblick auf 2020 - ein verlorenes Jahr?

Gedanken Anfang 2021

Wie werden wir das Jahr 2020 in Erinnerung behalten?

Als Jahr der Einschränkung, als Jahr des Umdenkens, als einmaligen Ausrutscher der "Normalität"?

Die Wörter des Jahres - "Corona-Pandemie" in Deutschland, "Babyelefant" in Österreich, "systemrelevant" in der deutschsprachigen Schweiz - weisen darauf hin, dass das Virus SARS-CoV-2 im Fokus stand.

Der Mind your business Newsletter im Jahr 2020 zeigt die Verschiebung der Themen. Während im Jänner das Thema Gründung bzw. Geschäftsausbau im Mittelpunkt stand (und dabei relevante Biases behandelte), enthielt bereits die Februar-Ausgabe folgenden Satz: "Meine persönliche Empfehlung: die Sache ernst nehmen, aber ohne Panik und dabei vor allem auf die medizinischen Empfehlungen hören und Fakten checken – so können wir effektiv persönliche Risken reduzieren (wenn auch nicht gänzlich ausschließen)." Diesen Satz kann ich auch heute noch unterschreiben.

War 2020 nun ein verlorenes Jahr? 

Das hängt zweifellos davon ab, welche Schlüsse aus der Krise wir gezogen haben. Wir haben viel erlebt, vieles davon haben wir zu Beginn des Jahres nicht erwartet - ich ziehe ein paar Punkte heraus und beleuchte sie näher.

Unser Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit – was haben wir beoachtet?

Wir Menschen tun uns schwer mit neuartigen Situationen und einem veränderten Kontext, unsere Muster und eingebauten "short-cuts" funktionieren dann nicht mehr.

Wobei, sie funktionieren zwar noch immer (in mechanischem Sinne), passen aber nicht mehr. Eine beliebte Frage in Einführungsworkshops zu De-Biasing lautet: wie erkenne ich, wenn Biases bei mir aktiv sind?

 

Nun, hier hatten wir alle im Jahr 2020 ausreichend Gelegenheit uns in Situationen von Unsicherheit und Ungewissheit zu beobachten. Manch eine(r) hat sich im März vielleicht bei Panikkäufen beteiligt, andere das Thema anfangs heruntergespielt um dann der Macht der Bilder (z.B. aus Italien) zu unterliegen. Vielleicht haben dieselben Personen später im Laufe des Jahres dann weitgehend unbesorgt im Shoppingcenter eingekauft, als die täglichen Neuinfektionsraten um den Faktor 10 höher als im Frühjahr waren. 

 

Was bedeutet das? Einerseits, dass wir uns relativ schnell auf neue Gegebenheiten anpassen und dabei wieder neue Muster entwickeln. Andererseits, dass "alte Bekannte" im Sinne von starken Biases im gesamten Jahr sehr deutlich sichtbar waren - die Krise hat daher etwas mit uns persönlich gemacht. Das System 1 hat sich häufig durchgesetzt, die Ratio kam dann im Vergleich zur Emotion zu kurz. Der Kontrollmechanismus setzte aus, so manche Entscheidung war wohl (objektiv im Nachhinein betrachtet) falsch.

 

Ist das schlimm? Naja.

Per se nein, da Biases einfach Teil des Mensch-Seins ausmachen. 

Wenn diese Biases gerade unsere wichtigsten Entscheidungen ins Negative drehen, dann ja.

Die Chance ist unsere reflektierende Seite (unser System 2) gezielt einzusetzen, um unsere individuellen Muster schrittweise zu verändern. Sonst haben wir vielleicht mehr Erfahrungen mit teilweisen kostspieligen Fehlentscheidungen gemacht, tun aber nichts dagegen. Dann machen wir dieselben Fehler wieder.

 

 

Die Chance zur Reflexion – haben wir sie genutzt?

Wir haben also viele Erfahrungen in neuem Kontext gesammelt - und dabei gesehen, wie wir uns dabei tun. Dies gilt nicht nur individuell, sondern auch für Unternehmen oder Organisationen und deren Teams. Viele haben dabei bemerkt, dass das Zurechtfinden in der Krise eine Folge dessen war, was man bereits zuvor investiert hatte. Ich meine dabei weniger technische Infrastruktur o.ä., sondern organisatorische Vorbereitungen wie Krisenpläne oder individuelle Investitionen in Selbstmanagement oder den Ausbau der persönlichen Resilienz.

Diese Erfahrungen und das Feedback aus beinahe 12 Monaten außerhalb der Komfortzone dienen hervorragend dazu, Schlüsse zu ziehen und zu lernen.

Dadurch können wir die Zukunft anders gestalten, und zwar genau jetzt. 

Wie kann dies aussehen? Stärken & Schwächen auf den Punkt bringen > verstehen, wie unsere Reaktionsmuster und -trigger aussehen > zusätzliche Handlungsoptionen entwickeln (response-ability) > umsetzen, ihre Nützlichkeit bewerten und bei Bedarf nachbessern. Klingt einfach, ist es aber nicht - es braucht Fokus & Ausdauer, nachhaltige Veränderung benötigt Zeit.

 

Zweifellos wird nicht jede(r) Person oder Organisation dies tun können oder wollen. Dadurch wird die nächste Krise wohl ähnlich wirken wie diese. Dann war 2020 tatsächlich ein verlorenes Jahr.

 

Wir haben jedenfalls die Wahl!

 

 

Führung und Vertrauen in der Krise – wie hat es funktioniert?

Führung war in diesem Jahr in vielerlei Hinsicht gefordert. Erstens, weil sie notwendig und gefragt war um Klarheit, Transparenz und Perspektiven zu schaffen. Wir haben auch hier viele Erfahrungen gemacht - im Bereich der Politik, des Gesundheitsmanagements, der Schulen, in Unternehmen, aber auch im privaten Bereich. Gute Führung im weitesten Sinn konnte durchaus den Unterschied machen, wie sich Menschen in und nach der Krise fühlen.

Zweitens war Führung gefordert im Sinne von beansprucht und anstrengend. In Zeiten der Unsicherheit geht der Blick unweigerlich hin zu den formellen und informellen Führungskräften, die permanent im Rampenlicht stehen. Bei Schlechtwetter zeigt sich, wie gut die getragene Ausrüstung ist - in der Krise zeigt sich die Qualität der persönlichen Ausrüstung, v.a. hinsichtlich Resilienz, Reaktionsmustern bei ständig neuen Rahmenbedingungen und Durchhaltefähigkeit.

 

Mir hat der Krisenmanagement-Kurs an der University of Michigan (näheres im September Newsletter) vor Augen geführt, wie wichtig Kommunikation in einer Krisensituation ist. Um dies effektiv machen zu können, braucht es Vorbereitung - hier in erster Linie mit dem Fokus auf die verschiedenen Interessensgruppen und deren Interessen.

Wir konnten heuer zahlreiche Erfahrungen machen, wie gut und effektiv dies passiert ist. Führung ist hier gefordert, weil sie den Menschen Vertrauen geben muss. In einer herausfordernden Phase wie heuer reichen Worthülsen und Inszenierung nur bis zu einem bestimmten Punkt. 

Entscheidungen treffen, kommunizieren und Vertrauen schaffen - zentrale Eigenschaften in der Führung, die für eine erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen Voraussetzung sind.

 

Wie gut waren wir selbst darin? 

Was konnten wir beobachten? 

Wo gibt es Lücken, die zu schließen sind?


Fazit - wir haben es selbst in der Hand

2020 war herausfordernd, anstrengend, ungewohnt - war es ein Jahr zum Vergessen?

Ja, wenn wir nichts daraus lernen.

Anhand der beschriebenen Themen hatten wir heuer vermutlich so viele Impulse wie selten zuvor zu beobachten, unser Verhalten und unsere Präferenzen zu hinterfragen, Arbeitsbeziehungen und Führung anders zu gestalten und vieles mehr.

 

Viele haben bereits heuer gesehen, dass sich ihre früheren Investitionen in Resilienz, flexible Arbeitsbeziehungen oder breitere Perspektiven positiv ausgewirkt haben. Diese Menschen werden daraus aufbauen und weitermachen.

So manche andere haben 2020 dazu genutzt, um Änderungen zu starten. 

Wieder andere wollen wieder in alte Routinen zurück, bis zur nächsten Krise.

Zu welcher Gruppe gehörst du?